Pfarrer Bernd Neuser
Predigt “to go” zum 19. April 2020, dem ersten Sonntag nach Ostern mit dem Namen “Quasimodo Geniti”
Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen?
Jesaja Kapitel 40 die Verse 26 – 31
Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber«?
Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; 31 aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Liebe Gemeinde!
„Gott kümmert sich nicht! Er hat keine Ahnung, wie es mir geht! Er lässt zu, dass mir Unrecht geschieht! Entweder es gibt ihn gar nicht, oder er ist so weit weg, dass es dann auch egal ist !“ Das ist die Anfechtung der Menschen damals. „Mein Weg ist dem Herren verborgen“, sagen die Menschen, „und mein Recht geht vor meinem Herrn vorüber“.
Ist Ihnen diese Anfechtung bekannt? Als leise nagende Frage oder als laut sich äußernder Frust an Gott? Hat die Osterbotschaft dieses Jahr
Ihr Gemüt, Ihr Herz erreicht, oder ist sie irgendwo stecken geblieben zwischen Ohr, Verstand und Herz?
Kriegen Sie es nicht für sich zusammen – den Corona-Virus und die Hoffnung, dass Gott uns helfen könnte?
„Quasimodo geniti“ heißt dieser Sonntag, „Werdet wie die neugeborenen Kinder“.
Die Kraft der Auferstehung soll uns persönlich berühren, uns selbst, unsere Seele erreichen und uns erneuern. Dass wir nicht müde werden und neue Kraft spüren, dass wir auffahren mit Flügeln wie Adler !
Aber davon sind die Menschen, denen Jesaja predigt, weit entfernt.
Sie sind gefangen in ihrer Aussichtslosigkeit und Gottesferne.
Sie zweifeln nicht nur an Gottes Möglichkeit zu helfen, sondern tatsächlich an seiner Existenz.
Hier hält der Prophet mit starken Worten dagegen. „Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies erschaffen?“ Gott ruft seine Lebewesen mit Namen und lässt nicht zu, dass eins von ihnen fehlt. Unser Schöpfer ist also auch unser Erhalter. Gott hat die Welt nicht ins Dasein gerufen und sie dann im Stich gelassen. ER kümmert sich auch um seine Geschöpfe und erhält sie am Leben.
Dieser Zusammenhang ist so grundlegend, dass er auch Teil unserer Gottesdienstliturgie ist. Am Anfang des Gottesdienstes stehen immer die Wortet: „Unsere Hilfe steht im Namen des Herren, der Himmel und Erde gemacht hat, der Bund und Treue hält ewiglich und nicht preis-gibt das Werk seiner Hände.“ Es ist der Schöpfer, in dessen Namen uns Hilfe gewiss ist. Wir sind auf Gott und seine Hilfe angewiesen. In dieser Hilfsbedürftigkeit beginnen wir jeden Gottesdienst, das ist unsere Grundbefindlichkeit.
Aber Jesaja muss weiter argumentieren: Nach der Schöpfung, ist Gott da nicht doch müde und matt geworden? Uns Menschen der Moderne oder Postmoderne ist vielleicht der Gedanke fremd, dass Gott schläft. Aber dass er ermattet, dass er sich nicht um jede Kleinigkeit kümmert, das ist sicherlich eine Anfechtung von uns heute. Als Kind habe ich geglaubt, dass Gott jedem Blümlein sein Essen bringt, ganz persönlich. Die Erfahrung ernüchtert uns dann: ganze Landstriche verdorren, Hunger und Elend stellen dieses Gottesbild in Frage. Kann es etwa sein, dass Gott sich peu à peu aus der Verantwortung zieht?
Nein, wir sollen es wahrnehmen, und vor allem wir sollen es hören: Gott wird nicht müde und matt. Er gibt den Müden Kraft und Stärke. Auch wenn der Prophet einräumt, dass Gottes Verstand unausforschlich ist. Nicht alle seine Wege sind uns verständlich, nicht auf alles gibt es eine glatte Antwort.
Aber er wirkt, er ist für seine Menschen da. „Friede sei mit euch“, sagt er zu den Jüngern und zum ungläubigen Thomas und lässt sich in seine Wundmahle fassen. Er möchte uns Menschen erreichen und gewiss machen.
„Die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ Dieses machtvolle Bild steht sicherlich im Zentrum unseres Bibeltextes.
Erinnern wir uns an solche Zeiten? Zeiten in denen wir schuften konnten ohne zu ermüden, in denen wir Kräfte hatten, von denen wir vorher nicht einmal eine Ahnung hatten. Was sind das für Zeiten, in denen wir unsere Kräfte fließen spüren, in denen uns die neue Kraft zufließt, als wäre es völlig selbstverständlich?
Ich vermute, es sind die Zeiten, in denen sich unser Herz und unser Verstand einig sind. Dann haben wir ungeahnte Kräfte. Wenn wir etwas tun, von dem wir fest überzeugt sind, und uns eine innere Stimme sagt: Ja genau, das ist jetzt das Richtige. Dann fließt uns Energie zu, dann durchströmen uns Kräfte. Dann lösen sich die Wegfahrsperren in unserer Seele. Dann hören die „Wenns“ und Abers“ auf, uns zu ermatten und zu lähmen, wie sie das so gerne tun. Kennen Sie das, dass sie dann von selbst ihre Füße richtig setzen – Weil alles stimmt?!
Der Glaube kann uns neue Kraft geben, je ganzheitlicher er ist, um so besser und lebendiger. Er gibt uns die Kraft und die Geduld, durchzuhalten. Geduld gehört dazu, darum betont der Prophet, dass diejenigen neue Kraft kriegen, die harren, die auf den Herren harren. Es geht also nicht um ein geistliches Abenteurertum, um aufregende Erfahrungen, die ich im Glauben mache. Es geht darum, am Ball zu bleiben, Gott treu zu bleiben im Vertrauen auf sein Wirken.
Dann handelt er, dann erleben wir die pfingstliche Gabe des Heiligen Geistes. Dann hören wir, und er macht unser Herz froh.
Erinnern Sie sich an die biblische Geschichte von den beiden Jünger auf ihrer Wanderung nach Emmaus?
Sie wandern enttäuscht heim, müde von ihren enttäuschten Erwartungen und reden sich die Frustration von der Seele.
So innerlich besetzt sind sie, dass sie den Menschen, der mit ihnen läuft, nicht erkennen, nicht ihren eigenen Meister erkennen. Das tun sie erst abends, als Jesus bei ihnen zu Hause ist und bei ihnen am Tisch das Brot bricht.
Die beiden Jünger reden. Vielleicht haben wir es noch nie im Leben so gespürt, dass wir reden müssen, wie gerade in diesen Zeiten der Corona-Epidemie. Wenn die Zeiten so ungewiss sind wie heute, dann brauchen wir vernünftige Menschen an unserer Seite. Dann tut es uns gut zu hören, was für einen Reim sich der Andere macht auf diese unübersichtliche Situation. Jesus, der zu den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus tritt, er hört übrigens erst einmal zu, bevor er spricht. Ein guter Seelsorger eben.
Woher hatten die beiden Jünger nur die Energie, noch in derselben Nacht ohne sich ausgeruht zu haben vom Hinweg, wieder zurück zu laufen nach Jerusalem?
Die Osterfreude ist auf sie übergegangen und hatte sie gepackt, ganz gepackt, so dass von Müdigkeit keine Rede sein konnte, weder körperlich noch seelisch noch geistig. Sie eilen, sie lachen, sie strahlen.
Das kraftvolle Bild vom Adler, der sich mit mächtigen Flügelschlägen in die Höhe schwingt, es passt dazu. „Die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ Amen.
Die Zeit des Kontaktverbots geht also weiter. Ich wünsche Ihnen weiterhin Geduld. Wir brauchen jetzt viel Freundlichkeit für einander und Verständnis. Gott segne Sie!
Ihr Pfarrer Bernd Neuser